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3455 Und warf den heiligen Becher
Hinunter in die Flut.
Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief ins Meer,
3460 Die Augen täten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.
(Sie eröffnet den Schrein, ihre Kleider einzuräumen, und
erblickt das Schmuckkästchen.)
Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
3465 Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne sein?
Vielleicht bracht's jemand als ein Pfand,
Und meine Mutter lieh darauf.
Da hängt ein Schlüsselchen am Band
3470 Ich denke wohl, ich mach es auf!
72 J. W. Goethe: Faust I
Was ist das? Gott im Himmel! Schau,
So was hab ich mein Tage nicht gesehn!
Ein Schmuck! Mit dem könnt eine Edelfrau
Am höchsten Feiertage gehn.
3475 Wie sollte mir die Kette stehn?
Wem mag die Herrlichkeit gehören?
(Sie putzt sich damit auf und tritt vor den Spiegel.)
Wenn nur die Ohrring meine wären!
Man sieht doch gleich ganz anders drein.
3480 Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
Das ist wohl alles schön und gut,
Allein man läßt's auch alles sein;
Man lobt euch halb mit Erbarmen.
Nach Golde drängt,
3485 Am Golde hängt
Doch alles. Ach wir Armen!
Spaziergang
Faust in Gedanken auf und ab gehend. Zu ihm Mephistopheles.
3490 MEPHISTOPHELES:
Bei aller verschmähten Liebe! Beim höllischen Elemente!
Ich wollt, ich wüßte was Ärgers, daß ich's fluchen könnte!
FAUST:
Was hast? was kneipt dich denn so sehr?
3495 So kein Gesicht sah ich in meinem Leben!
MEPHISTOPHELES:
Ich möcht mich gleich dem Teufel übergeben,
Wenn ich nur selbst kein Teufel wär!
FAUST:
3500 Hat sich dir was im Kopf verschoben?
Dich kleidet's wie ein Rasender zu toben!
MEPHISTOPHELES:
Denkt nur, den Schmuck, für Gretchen angeschafft,
Den hat ein Pfaff hinweggerafft!
3505 Die Mutter kriegt das Ding zu schauen
Gleich fängt's ihr heimlich an zu grauen,
Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
Schnuffelt immer im Gebetbuch
Und riecht's einem jeden Möbel an,
3510 Ob das Ding heilig ist oder profan;
Und an dem Schmuck da spürt, sie's klar,
Daß dabei nicht viel Segen war.
»Mein Kind«, rief sie, »ungerechtes Gut
Befängt die Seele, zehrt auf das Blut.
3515 Wollen's der Mutter Gottes weihen,
Wird uns mit Himmelsmanna erfreuen!«
Margretlein zog ein schiefes Maul,
Ist halt, dacht sie, ein geschenkter Gaul,
73 J. W. Goethe: Faust I
Und wahrlich! gottlos ist nicht der,
3520 Der ihn so fein gebracht hierher.
Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
Der hatte kaum den Spaß vernommen,
Ließ sich den Anblick wohl behagen.
Er sprach: »So ist man recht gesinnt!
3525 Wer überwindet, der gewinnt.
Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen
Und doch noch nie sich übergessen;
Die Kirch allein, meine lieben Frauen,
3530 Kann ungerechtes Gut verdauen.«
FAUST:
Das ist ein allgemeiner Brauch,
Ein Jud und König kann es auch.
MEPHISTOPHELES:
3535 Strich drauf ein Spange, Kett und Ring',
Als wären's eben Pfifferling',
Dankt' nicht weniger und nicht mehr,
Als ob's ein Korb voll Nüsse wär,
Versprach ihnen allen himmlischen Lohn-
3540 Und sie waren sehr erbaut davon.
FAUST:
Und Gretchen?
MEPHISTOPHELES:
Sitzt nun unruhvoll, Weiß weder, was sie will noch soll,
3545 Denkt ans Geschmeide Tag und Nacht,
Noch mehr an den, der's ihr gebracht.
FAUST:
Des Liebchens Kummer tut mir leid.
Schaff du ihr gleich ein neu Geschmeid!
3550 Am ersten war ja so nicht viel.
MEPHISTOPHELES:
O ja, dem Herrn ist alles Kinderspiel!
FAUST:
Und mach, und richt's nach meinem Sinn,
3555 Häng dich an ihre Nachbarin!
Sei, Teufel, doch nur nicht wie Brei,
Und schaff einen neuen Schmuck herbei!
MEPHISTOPHELES:
Ja, gnäd'ger Herr, von Herzen gerne.
3560 (Faust ab.)
So ein verliebter Tor verpufft
Euch Sonne, Mond und alle Sterne
Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.
(AbDer Nachbarin Haus
3565 Marthe allein.
74 J. W. Goethe: Faust I
Gott verzeih's meinem lieben Mann,
Er hat an mir nicht wohl getan!
Geht da stracks in die Welt hinein
Und läßt mich auf dem Stroh allein.
3570 Tät ihn doch wahrlich nicht betrüben,
Tät ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.
(Sie weint.)
Vielleicht ist er gar tot!- O Pein!-
Hätt ich nur einen Totenschein!
3575
Margarete kommt.
MARGARETE:
Frau Marthe!
3580 MARTHE:
Gretelchen, was soll's?
MARGARETE:
Fast sinken mir die Kniee nieder!
Da find ich so ein Kästchen wieder
3585 In meinem Schrein, von Ebenholz,
Und Sachen herrlich ganz und gar,
Weit reicher, als das erste war.
MARTHE:
Das muß Sie nicht der Mutter sagen;
3590 Tät's wieder gleich zur Beichte tragen.
MARGARETE:
Ach seh Sie nur! ach schau Sie nur!
MARTHE (putzt sie auf):
O du glücksel'ge Kreatur!
3595 MARGARETE:
Darf mich, leider, nicht auf der Gassen
Noch in der Kirche mit sehen lassen.
MARTHE:
Komm du nur oft zu mir herüber,
3600 Und leg den Schmuck hier heimlich an;
Spazier ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,
Wir haben unsre Freude dran;
Und dann gibt's einen Anlaß, gibt's ein Fest,
Wo man's so nach und nach den Leuten sehen läßt.
3605 Ein Kettchen erst, die Perle dann ins Ohr;
Die Mutter sieht's wohl nicht, man macht ihr auch was vor.
MARGARETE:
Wer konnte nur die beiden Kästchen bringen?
Es geht nicht zu mit rechten Dingen!
3610 (Es klopft.)
75 J. W. Goethe: Faust I
Ach Gott! mag das meine Mutter sein?
MARTHE (durchs Vorhängel guckend):
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